Faktencheck und Reaktion auf den Online-Beitrag „Gegenwind Nutscheid“

Zwei Windräder auf einem Berg in der Nähe von Windeck

Vor gut einem Jahr informierten wir über einen geplanten Windpark auf der Nutscheid. Es war zu erwarten, dass dieses Vorhaben nicht bei allen auf Gegenliebe stößt. Auch innerhalb der Klimainitiative gibt es kritische Stimmen. Auf der Website eines Windecker Mitbürgers wurde nun ein Beitrag mit dem Titel „Gegenwind Nutscheid“ veröffentlicht (verfügbar unter https://www.image-galerie-raab.de/videos/irrweg-windkraft-in-der-nutscheid.html) in dem eine Reihe von Behauptungen aufgestellt werden, die einer kritischen Betrachtung bedürfen.

In diesem Artikel, den Sie hier gerade lesen, setzen wir uns Punkt für Punkt mit den angeführten Kritiken an einem möglichen Windpark in der Nutscheid auseinander, prüfen Aussagen und antworten auf Argumente. Wir möchten damit die Diskussion versachlichen und laden alle zum Gespräch ein. Durch den Austausch von Argumenten können Für und Wider, Vor- und Nachteile konstruktiv abgewogen werden.

Irreführende Fotomontage

Das Elaborat beginnt mit einer Fotomontage von einigen Windenergieanlagen (WEA) auf der Burg Windeck. Diese Montage ist vollkommen irreführend und falsch. Weder entsprechen die montierten Anlagen solchen die gebaut würden, noch stimmen Standort und Größe. Im direkten Umfeld der Burg Windeck gibt es keine genehmigungsfähigen Standorte, diese befinden sich alle auf oder nahe dem Kamm der Nutscheid, im Bereich „Hohes Wäldchen“ (nicht aber im dortigen Naturschutzgebiet!), von dort Richtung West und Ost. Die Luftlinien-Distanz zur Burg Windeck beträgt ca. 3,5 km. Eine realistische Visualisierung sähe weit weniger spektakulär aus.

Zur Ästhetik von Windenergieanlagen schreibt der Rhein-Hunsrück-Kreis, deutscher Pionier im Wind-Ausbau:
Windkraft verändert die Landschaft – das ist unstrittig. Doch auch in der Vergangenheit hat es stets Landschaftsveränderungen gegeben. Als historische Beispiele hierfür seien genannt: der Bau der Burgen im Mittelalter, die Industrialisierung und der Flächenbedarf für Bahnstrecken.
Weitere lokale Beispiele:

  • Im Rhein-Hunsrück-Kreis gibt es 394 km Strom-Freileitungstrassen
  • Das Straßennetz im Landkreis umfasst 993 km (42 km Autobahn A61, 158 km Bundes-, 368 km Landes- und 425 km Kreisstraßen)

Die aufgezählten Beispiele werden dabei von der Bevölkerung nicht als störend empfunden, sondern sind als notwendige Infrastruktur akzeptiert. Ursache hierfür dürfte sein, dass die Freileitungstrassen und Straßennetze bereits vorhanden waren, als die Menschen geboren wurden. Die Soziologen sagen hierzu „Die Vertrautheit ist entscheidend“.
Die Windräder stoßen in Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung, da sie nicht zum alt vertrauten Landschaftsbild gehören. Die Kinder von heute wachsen mit der Windkraft auf und werden mit dem Anblick vertraut sein. Vielleicht werden zukünftige Generationen sich darüber wundern, dass ihre Vorfahren ihre Energie aus Braunkohletagebau und Atomkraftwerken gewonnen haben und ihnen hierdurch, lange nach Ende deren Energienutzung, mit Atommüll und Bergschäden „Ewigkeitslasten“ hinterlassen haben.

PFAS, SF6, Epoxidharz

Der Beitrag führt an, Windkraftanlagen würden die Umwelt mit „krebserzeugenden Chemikalien PFAS und SF6 mit den Carbonkohlefaserstoffen in Verbindung mit Epoxidharz bis zu 100 km ins Umland wehen“. Diese Argumente werden immer wieder ins Feld geführt und im Detail längst beantwortet (s. z.B. hier: https://energiewende.eu/windkraft-abrieb/). In Kürze zusammengefasst:

  • Der Mikroplastikabrieb von WEA liegt demnach bei ca. 1.400t/Jahr, während der von z.B. Schuhsohlen bei ca. 9.000t/Jahr liegt, von Asphalt bei 18.000t/Jahr und von Reifen bei 102.000t/Jahr.
  • PFAS werden in schlecht erfasster Menge tatsächlich auch in WEA eingesetzt, jedoch in fest verbauten Teilen, aus denen sie kaum in die Umwelt gelangen können. Sie werden weit umfänglicher in anderen Bereichen eingesetzt. Die in der Umwelt zu findenden PFAS stammen meist aus wasserlöslichen Herkünften wie Feuerlöschschäumen oder Pflanzenschutzmitteln. Es gibt keine Hinweise, dass WEA signifikant zu PFAS-Konzentrationen in der Umwelt beitragen.
  • Die gefährlichen Inhaltsstoffe für Epoxidharz (Bisphenol-A) sind genau jene Stoffe, die im fertigen Produkt (wie Flügel der WEA) nach der chemischen Reaktion und Aushärtung als Einzelmoleküle nicht mehr relevant vorhanden sind. Die Hauptaufnahme für Menschen von Bisphenol-A geschieht über die Nahrung, aus Flaschen und Konservendosen. Beiträge von WEA zählen nicht dazu.
  • SF6 ist tatsächlich eins der potentesten Klimagase. Jedoch (Quelle BUND Bayern) :
  1. stammen die SF6-Emissionen nahezu ausschließlich aus der nicht-sachgemäßen Entsorgung von alten Schallschutzscheiben,
  2. gehen diese seit Jahren zurück (während der Windkraftausbau gerade in der letzten Dekade stark zugenommen hat),
  3. ist das Gas nur in Spannungsanlagen noch zugelassen (Verbote werden ohnehin diskutiert). Von dort kann es normalerweise nicht freigesetzt werden. Sollte es zu einem Unfall kommen, würden 3kg entweichen, mit einem Treibhausgaspotenzial von ca. 75t CO2. Das ist viel, eine WEA spart in ihrem Betriebszeitraum jedoch ca. 100.000t ein.

Vogelschlag und Vogelschutz

Es ist korrekt, dass mit der Novelle der gesetzlichen Grundlagen zur Beschleunigung des Windenergieausbaus (BNatSchG und BImSchG) einige Arten nicht mehr Verhinderungsgrund für einen Standort sind. Es ist nicht korrekt, dass ihr Vorkommen „bei der Genehmigung von Windkraftanlagen keinerlei Bedeutung“ hat. Es gelten weiterhin strenge gesetzliche Kriterien und Prüfungen von Vorkommen (zahlreiche Informationen z.B. beim BfN)

Völlig irreführend ist, dass „jetzt in noch größerem Umfang  von Grün geschreddert werden [darf]“: die Gründe für Vogelsterben liegen insbesondere in der Art der Landnutzung und Landwirtschaft, menschlichen Verschmutzungen inkl. Klimawandel. Laut NABU verenden an WEA ca. 100.000 Vögel (der unwichtigste Grund), während z.B. Glasscheiben für über 100.000.000 verantwortlich sind, Kollisionen im Verkehr für 70.000.000.

Das Argument verzerrt die Diskussion, da die relevanten Gründe außer Acht gelassen werden. Trotzdem gilt es natürlich den Vogelschlag auch bei der Windenergie weitestmöglich zu reduzieren und Artenschutz zu erhöhen. Dies kann erreicht werden durch Vorgaben und Prüfungen bei der Genehmigung, durch technische Maßnahmen (z.B. automatische Abschaltung) und Ausgleichsmaßnahmen. In zahlreichen Windpark-Konzentrationsgebieten wie z.B. Rhein-Hunsrück-Kreis haben sich Populationen von z.B. Rotmilan gerade nach Errichtung der Parks stark erholt.

Ein Diagramm, das die Gefahren für Brutvögel in absteigender Reihenfolge auflistet.
Beeinträchtigungen und Gefährdungen für alle Brutvogelarten Deutschlands. – Quelle: Vogelschutzbericht der Bundesregierung 2013 lt. nabu.de

Insofern ist diese Aussage teilweise korrekt: wir erleben eine „Artenselektion durch den Menschen zurück in die Vergangenheit, denn zuerst sterben die Insekten, danach die Vögel und dann der Mensch, wie bereits andere Länder in der Vergangenheit schmerzlich feststellen mußten.“ – nicht allerdings, wie der Autor meint, durch Windenergie. Menschliches Handeln und politische Entscheidungen haben dramatische Auswirkungen auf die Artenvielfalt: durch die nicht ausreichende Regulation von Pestiziden, Insektiziden, Düngemitteln, über Landnutzungsveränderung durch Flächenverbrauch für Gebäude, Gewerbegebiete, Straßenbau, durch intensive Landwirtschaft und Flurbereinigung und nicht zuletzt durch den zunehmenden Klimawandel.

Vorschneller Atom- und Kohleausstieg und „Neuere Alternativen“

Laut dem Beitrag wurde die „Atom- und Kohlenergie von den Ideologen vorschnell in Zeiten von Energieknappheit gestoppt und die Entwicklung von Alternativen geblockt […]“

Hierzu sei verwiesen:

  • Der deutsche Atomausstieg war ein langer Prozess (nicht vorschnell). Erste Forderungen gab es in den 1970er Jahren, mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 nahm er weiter Fahrt auf, wurde schließlich 2000 von einer rot-grünen Bundesregierung mit den Betreibern vereinbart, 2010 von einer schwarz-gelben Bundesregierung Laufzeiten deutlich verlängert, diese aber 2011 von derselben Regierung nach dem Reaktorunglück von Fukushima wieder rückgängig gemacht und schließlich 2023 mit der Abschaltung der letzten 3 Reaktoren vollzogen
  • Der jahrzehntelange Ausstiegsprozess wurde durch dutzende wissenschaftliche Studien begleitet, von nahezu allen politischen Parteien umgesetzt und sicherlich nicht durch „die Ideologen“, sondern basierend auf zahlreichen rationalen Argumenten.
  • Die zahlreichen Argumente und Historie lassen sich für ein nicht-wissenschaftliches Publikum aufbereitet im Wikipedia-Artikel zu „Atomausstieg“ (LINK) nachlesen.
  • Praktisch gleiches gilt für den derzeit vereinbarten Kohleausstieg: dieser ist mit Sicherheit nicht „vorschnell“, sondern im Gegenteil nicht ausreichend ambitioniert, um die deutschen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung zeigt in seiner Aktualisierung des CO2-Budgets (s. Sachverständigenrat für Umweltfragen), dass der faire Anteil an Restemissionsmengen, die Deutschland noch ausstoßen dürfte ganz oder fast aufgebraucht ist. Selbst für die Einhaltung nur eines 1,75°-Ziels mit nur 67%-er Wahrscheinlichkeit müsste Deutschland bis 2037 klimaneutral sein – während die Bundesregierung aktuell auf 2045 zielt. Ein Kohleausstieg bis 2038 ist vor diesem Hintergrund nicht vorschnell.
  • Etwas verwirrend wirkt der Verweis des Autors auf eine Quelle zu „Alternativen Energiequellen“, die die verschiedenen nicht-fossilen Energieträger erläutern, also Erneuerbare Energien, darunter insbesondere auch Photovoltaik und Windenergie. Dabei wird kritisiert, dass v.a. Wind und PV nicht grundlastfähig sind. Das ist korrekt. Jedoch trägt insbesondere eine möglichst geographisch diverse Verteilung von Windenergieanlagen in einem zunehmend erneuerbaren Energiesystem stark zur Netzstabilität bei: Wind steht meist konstanter zur Verfügung als Sonne (Tag/Nacht und Jahreszeiten). Überregionale Windflauten sind selten. Auch wenn in Windeck mal kein Wind wehen sollte, so weht er wahrscheinlich woanders. Umgekehrt genauso.

Der Autor nennt mit Fusionsenergie und Mini-Atomkraftwerken zudem weitere „Alternativen“, die von den „Ideologen“ geblockt worden wären und „hätten längst begonnen werden müssen. Korrekt ist, dass seit Jahrzehnten für in etwa 20 Jahren Fusionskraftwerke angekündigt werden, im dort zitierten Artikel „soll in China laut den aktuellen Planungen 2050 starten“ – selbst wenn diese Erwartung korrekt einträfe, viel zu spät, Treibhausgas-Einsparungen sind ab sofort notwendig.

Der Autor argumentiert weiterhin für Atomenergie – die Debatte wäre zu führen und ausführliche Argumente auszutauschen. In Kürze: die zitierte Quelle auf taz.de sagt mitnichten, dass Finnland das Atommüllproblem gelöst hätte – vielmehr ist die Endlagerfrage unter Experten weiter umstritten und eine nachhaltige Lösung ist die Produktion von jahrtausendelang radioaktiven Abfällen eher nicht. Dass in Finnland wie angeführt vier Atomkraftwerke 40% des Strombedarf decken ist möglich, da das Land 5,5 Mio. Einwohner und wenig Industrie hat. Frankreich benötigt für 60% Atomstrom bei 68 Mio. Einwohnern 56 Reaktoren. Da der Brennstoff Uran nicht im Land produziert wird, sind diese Länder vollständig auf Importe angewiesen – zunehmend aus Kanada, zentral sind hierfür jedoch weiterhin Russland, Kasachstan und Niger. Stromsysteme mit hohem Atomanteil haben daher ein gewisses Problem der Energiesicherheit.

Angeführt wird auch ein Artikel, der kündet „Frankreich will mindestens ein Atomkraftwerk pro Jahr bauen“. Es ist korrekt, dass es weltweit ca. 30 Länder gibt, die Atomkraftwerke betreiben und auch Länder, die weitere Kraftwerke bauen wollen – dazu gehört auch Frankreich. Es gibt jedoch ebenso ca. 10 Länder, die in der Vergangenheit solche Kraftwerke betrieben haben und bereits ausgestiegen sind oder aussteigen werden (Taiwan, Spanien), und 7 Länder, die Ausstiegspläne wieder verworfen haben. Es gibt also Parallelen sowohl für Ausstiege wie auch Beibehalt – und aktuell liegt die deutsche Stromerzeugung bei über 50% aus erneuerbaren Quellen (s. Agorameter), mehr als der Höchststand der Atomenergie hatte (ca. 30%). Jeder weitere Erneuerbaren-Zubau verdrängt damit direkt fossile Kraftwerke aus dem Markt.

Beschlusslage zur Windenergie in Windeck

Im Beitrag wird außerdem behauptet, in einer Ratssitzung sei der Bau des von der Klimainitiative vorgeschlagenen Windparks beschlossen worden, die Grünen hätten unreflektiert zugestimmt. Der Vorwurf lautet: finanzielle Eigeninteressen.

Fakt ist: aus den Reihen der Klimainitiative sind wir seit Jahren aktiv, um Ideen für die Reduktion der Treibhausgasemissionen in die Praxis zu bringen – Windeck mit einer bisher marginalen Erzeugung erneuerbaren Stroms hat beeindruckende Emissionen (insb. Im Verkehrs- und Wärmebereich) (s. windeck-bewegt.de), aber bisher keine großen erneuerbaren Erzeugungskapazitäten. Windeck hat sog. Wind-Potenzialflächen ausgewiesen, die auch die hier angedachten Flächen umfassen, jedoch weit darüber hinausgehen. Der Rat hat die Vorstellung der Ideen der Klimainitiative zur Kenntnis genommen, bisher existiert jedoch keinerlei beschluss- oder genehmigungsfähige Planung, mit welcher der Rat befasst werden könnte.

Korrekt ist, dass alle Ratsfraktionen (nicht nur die „GRÜNEN“) einem solchen Vorhaben grundsätzlich offen und positiv gegenüberstanden, wenngleich auch Fragen im Raum standen.

Angedachte Flächen in der Nutscheid

Eine im Beitrag verlinkte Karte suggeriert, Windecker Biotope würden Windparks zum Opfer fallen. Fakt ist: Planung und Bau von Windenergieanlagen in Naturschutzgebieten sind in Deutschland nicht möglich, entsprechend sind diese ohnehin von Planungen ausgenommen. Korrekt zeigt der Beitrag Bilder der Kalamitätsflächen auf der Nutscheid, die als Folge von klimawandelbedingter Trockenheit und folgendem Borkenkäferbefall von Fichtenbeständen entstanden sind. Der Beitrag suggeriert, diese seien nun „eine Blütenpracht und ein Insektenparadies im Jahr 2023, aber damit soll bald Schluß sein“.

Richtig ist, dass sich die Flächen der ehemaligen Monokulturen nun wenige Jahre nach dem Absterben, Kahlschlag und Abfuhr nun deutlich biodiverser entwickeln werden. Nicht zutreffend ist, dass damit nun „Schluss sein soll“. Im Gegenteil sollen die Windanlagen eben genau auf abgeholzten Flächen entstehen, so dass kein Wald gerodet werden muss. Unter den hohen Anlagen können biodiverse Mischwälder und „Blütenprachten und Insektenparadiese“ durchaus gedeihen, da die Rotoren weit über den Baumkronen sind.

Weitere Befürchtungen

Abschließend befürchtet der Autor noch „Sound und Langschatten“ sowie ein großes Artensterben. Korrekt ist, dass die hohen Türme und Rotoren einen Schatten werfen müssen – wie dramatisch das im Wald ist, wäre zu bewerten. Lärmimmissionen sind vorhanden, halten sich bei diesen Anlagen in Grenzen (unterhalb der Lautstärke eines PKW, s. BWE) und sind lokal begrenzt. Ein „großes Artensterben“ hat weder im Rhein-Hunsrück-Kreis noch den vielen anderen Standorten mit hoher Windparkdichte eingesetzt und ist auch in Windeck nicht zu erwarten.

Sollten Fragen und Befürchtungen weiter bestehen, freut sich die Windgruppe der Klimainitiative Windeck auf Ihre Kontaktaufnahme. Wir versuchen dies selbst zu klären oder im Zweifel Expert*innen zu finden.

Text: Johannes Thema

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